Beyond History Blog

Auswanderung aus Deutschland: Wenn einer eine Reise tut… - Kosten, Transportmittel und Reisebedingungen

Andrea Bentschneider - 24. April 2020 - Allgemein, Auswanderung, Hamburg, Wissen

… dann kann er was erleben! Für die Schiffspassagiere der dritten Klasse und die Reisenden aus der Zeit, bevor ein Schiffsarzt verpflichtend mit an Bord war, kann man dieses Sprichwort wörtlich nehmen. Die Reisebedingungen waren alles andere als komfortabel und sicher. Aber der Reihe nach, noch ist niemand an Bord gegangen.

Die beiden großen deutschen Auswanderungshäfen waren Hamburg und Bremen bzw. Bremerhaven. Auch wenn es nicht alle Hamburger gern hören werden: Das „Nordderby“ in Sachen Auswandererzahlen gewinnt Bremen mit rund 7,2 Millionen zu etwas mehr als 5 Millionen Auswanderern über Hamburg deutlich. Zwischen den Reedereien innerhalb der Städte und ebenfalls zwischen Hamburg und Bremen gab es einen erbitterten Konkurrenz- und Preiskampf. Dies wirkte sich natürlich auch auf die Transportbedingungen aus. Auch aus Stettin und anderen kleineren Häfen starteten Schiffe mit Auswanderern, allerdings blieben diese als Auswandererhafen eher unbedeutend. Hamburg überholte Bremen erst mit der Einführung der Dampfschifffahrt als bedeutendster deutscher Auswandererhafen.

Um auf ein Auswandererschiff zu gelangen, musste man sich die Überfahrt erst einmal leisten können. Viele Auswanderer waren Landmänner (Arbeiter in der Landwirtschaft). Je nach dem, in welchem Jahr die Überfahrt stattfand, musste ein einfacher Arbeiter für die Reise zwischen zwei Drittel und dem zehnfachen seines Jahreseinkommens zahlen. Bei dem ohnehin schon bescheidenen Lohn der Landarbeiter war es nahezu unmöglich, eine solche Summe zur Seite zu legen. Erspartes hatten die wenigsten. Es blieb vielen nichts anderes übrig, als ihr gesamtes Hab und Gut zu verkaufen, was sich für die Deckung der Kosten nur wirklich lohnte, wenn man bereits in der Heimat zum Beispiel Land und Haus besaß. Schätzungsweise die Hälfte der deutschen Auswanderer verdingte sich aber auf mehrere Jahre nach der Ankunft in den USA oder in Südamerika als Gesinde auf einer Farm oder Hacienda. Die Reisekosten wurden oft durch Abmachungen zwischen Kapitänen und Grundbesitzern vorgestreckt und später in Übersee, wo Arbeitskräfte dringend gebraucht wurden, über mehrere Jahre abgearbeitet.

Auch kam es nicht selten vor, dass Gemeindekassen für die Reisekosten aufkamen. In Zeiten von großer Armut und gleichzeitigem starken Bevölkerungswachstum hofften viele Gemeinden, durch die einmalige Bezahlung der Überfahrt eine bessere Rechnung zu machen, als reisewillige Einwohner vor Ort zu behalten und möglicherweise über Jahre aus der Armenkasse zu finanzieren. Es kam auch vor, dass sich der ein oder andere Bürgermeister mithilfe der Gemeindekasse persönlich dafür einsetzte, unliebsame Mitbürger außer Landes zu schaffen.

Die Ausnahme bildeten Großgrundbesitzer, die bereits im Voraus in Übersee ein gutes Stück Land für sich erwerben ließen und dann ihren hiesigen Besitz verkauften.

Für die, die sich keine Überfahrt in der Ersten oder Zweiten Klasse leisten konnten, wurde die Reise zur großen Strapaze. Die Überfahrt nach Nord- oder Südamerika war keine Vergnügungsfahrt sondern ein tatsächliches Risiko. Zwar war die Verpflegung im Reisepreis inbegriffen und in den ersten Tagen gab es noch gelegentlich Frischfleisch und Obst. Aber da die Langerung von solchen leicht verderblichen Lebensmitteln schwierig war, gab es meist dünne Suppen, trocken Schiffszwieback, Trockenfrüchte, Graupen und Hülsenfrüchte wie Erbsen, Bohnen, Linsen.

Die zwangsweise unausgewogene Ernährung, die Seekrankheit, der Platzmangel und die katastrophalen hygienischen Verhältnisse an Bord sorgten dafür, dass viele auf der Reise schwer erkrankten oder sogar die Ankunft nie erlebten. Ein Arzt war in den frühen Jahren der Auswanderungswelle nicht immer mit an Bord. Erst lange Zeit nach Einsetzen der großen Auswanderungsbewegungen wurde es den Reedereien vorgeschrieben, immer einen Arzt als Teil der Schiffsbesatzung mitzunehmen.

Wer auf der Reise verstarb, wurde unverzüglich auf See bestattet. Dieses Schicksal soll angeblich zehn Prozent der Reisenden ereilt haben. Wer bei der Ankunft in New York nicht mehr an Bord und am Leben war, wurde von der Passagierliste gestrichen und darauf als „dead“ (tot) vermerkt. Die New Yorker nannten die Einwandererschiffe scherzhaft „Sargschiffe“, auch wegen Reisekatastrophen wie jene, die den Segler „Leibnitz“ zur traurigen Berühmtheit machte. Auf der elfwöchigen Überfahrt von Hamburg nach New York von November 1868 bis Januar 1869 verstarben 105 Passagiere an Cholera, die 300 Überlebenden waren in einem erbärmlichen Zustand. Ebenso bestürzend, aber auch sagenumwoben entpuppte sich das Schicksal der „Cimbria“, die es 1883 von Hamburg aufgrund eines tragischen Unfalls gerade mal vor die ostfriesische Insel Borkum schaffte und 437 Menschen mit sich in die Tiefen zog.

Doch ebenso konnte die Passagierzahl während der Überfahrt geringfügig ansteigen, wenn eine Schwangere an Bord war und ihr Ungeborenes die Ankunft im Hafen nicht abwarten wollte.

Die damalige Reisedauer konnte je nach Zielhafen und Wind- und Wetterverhältnissen stark variieren. An die Ostküste Nordamerikas konnte man bei der Reise mit einem Segelschiff in 29 bis 77 Tagen gelangen, nach Brasilien waren es zwischen 42 und 97 Tagen. Am längsten war natürlich der Weg nach Australien mit einer Reisedauer von 76 bis 108 Tagen. Wenn die Reise über Zwischenhäfen erfolgte, die Passagiere also beispielsweise erst nach Liverpool oder Le Havre fuhren und erst dort Schiffe zum eigentlichen Zielhafen bestiegen, konnte sich die Reisezeit noch weiter verlängern. Eine deutliche Verbesserung dieser für alle Beteiligten schwer kalkulierbaren Reise war die Einführung von Dampfschiffen, die für eine planbare Regelmäßigkeit in der Beförderung sorgten und beispielsweise die Strecke Hamburg - New York in 14 bis 17 Tagen schafften.

Passagiere, die keine Erste Klasse gebucht hatten, wurden im Frachtraum des Schiffes transportiert. Diese Reisenden hatten während der Überfahrt kaum einmal die Möglichkeit, auf den Außendecks ein wenige frische Lust und Sonnenlicht zu erhaschen. Zudem mussten das Koch- und Essgeschirr, Decken und Matratzen selbst mitgebracht werden. Wer mit Mann und Maus reiste, vielleicht auch noch kleine Kinder dabei hatte, und zusätzlich zu den oft wenigen persönlichen Habseligkeiten auch noch Hausrat und Bettzeug von Zuhause bis zum Schiff und möglicherweise noch zu einem Zwischenhafen transportieren musste, der hatte wahrlich nichts zu lachen. Man kann sich also vorstellen, wie groß die Not daheim und die Hoffnung auf ein besseres Leben in Übersee waren, wenn Millionen Deutsche diese Tortur auf sich nahmen.

Neuer Kommentar

0 Kommentare

Benachrichtigung bei neuen Blog-Artikeln