Literaturtipp: „Sie kam aus Mariupol“ von Natascha Wodin
- 26. März 2017 - Allgemein, Familie, Literatur, Persönlichkeiten
Im Februar 2017 ist bei Rowohlt das neue Buch der Schriftstellerin Natascha Wodin erschienen. „Sie kam aus Mariupol“ erzählt nicht nur die bewegende Geschichte ihrer Mutter, sondern beschreibt auch eindrücklich die Ahnenforschung als solche. Zu Recht wurde die literarische Biographie mit dem Preis der Leipziger Buchmesse 2017 ausgezeichnet.
Eine aussichtslose Suche?
Natscha Wodin weiß zu Beginn ihrer Suche nicht viel von ihrer Mutter. Ihren Namen (ein ziemlich häufiger noch dazu), ihr Geburtsdatum, ihren Geburtsort (Mariupol in der Ukraine), das Datum ihrer Heirat und ihre Ankunft in Deutschland. Ebenfalls erhalten sind zwei Fotografien und eine alte Ikone. Dazu Erinnerungen aus der Kindheit der Autorin, Erzählungen ihrer Mutter. Bei diesen Details ist sie jedoch nicht sicher, ob sie nicht ihrer kindlichen Fantasie entsprungen oder zumindest durch diese eingefärbt sind. Denn ihre Mutter hat Selbstmord begangen als Natascha Wodin gerade 10 Jahre alt war.
Mehr oder weniger durch Zufall findet die Autorin einen kurzen Eintrag über ihre Mutter im Internet und kommt in Kontakt mit einem in Russland lebenden privaten Ahnenforscher. Seiner unermüdlichen Arbeit ist es zu verdanken, dass sie am Ende ihrer Suche zwar längst nicht alles über ihre Mutter weiß, sie aber doch noch einmal ganz neu kennen lernt, ihre Entwurzelung und tiefe Trauer besser versteht als zuvor.
Natascha Wodins Reise in die Vergangenheit ist geprägt von einer Achterbahnfahrt der Gefühle. Sie erlebt Glücksmomente aufgrund von Entdeckungen, auf die zu Hoffen kaum Aussicht bestanden hatte. Immer wieder ereignen sich kleine Ahnenforschungswunder, Tote Punkte werden überwunden, Selbst ihre Erinnerungen an Erzählungen der Mutter stellen sich häufig als wahr heraus. Am Ende kann Natascha Wodin sogar die Stimme ihres Onkels auf einer Aufzeichnung hören und die handschriftlich festgehaltenen Memoiren ihrer Tante in Händen halten.
Die Geschichte, die sich vor ihr ausbreitet, ist keine glückliche. Ihre Mutter wird mitten hineingeboren in den Bürgerkrieg, der auf die Russische Revolution folgte. Im Sowjetischen Staat sie aufgrund ihrer Herkunft eine Aussätzige. Getrennt von ihrer Familie landet sie mit ihrem Ehemann als Zwangsarbeiterin in Deutschland, wo sie als Ukrainerin in der nationalsozialistischen Rassenhierarchie nur oberhalb der Juden und Sinti und Roma angesiedelt ist. Auch nach dem Ende des zweiten Weltkrieges findet sie kein Glück. Wieder ist sie als „Russin“ eine Ausgestoßene. Sie lebt in oft menschenunwürdigen Zuständen: Erst in einem Schuppen, dann in einem Lager für Displaced Persons, zuletzt in einer Siedlung für heimatlose Ausländer. Hinzu kommt eine unglückliche Ehe.
Eine Familie!
Für Natascha Wodin führt die Reise in die Vergangenheit aber noch zu etwas anderem, das sie so vorher nicht kannte: Einer Familiengeschichte!
„Am Ende hatte er auch für mich einen Stammbaum erstellt, der kein Baum, sondern ein Wald war, in dem ich mich ständig verlief. Ich, die ich nie Vorfahren gehabt hatte, besaß plötzlich so viele davon, dass ich sie alle durcheinanderbrachte […].“
(Natascha Wodin: Sie kam aus Mariupol, Rowohlt 2017)
Diese Familiengeschichte ist spannend – und größtenteils tragisch. Enteignung, Plünderungen, Russische Lager und Verbannung, Selbstmorde, sogar ein Mord und immer wieder der Kampf ums Überleben spielen eine Rolle.
Die meisten Protagonisten sind bereits verstorben. Natascha Wodins Trauer, sie nicht mehr kennengelernt zu haben, schwingt häufig mit. Die Geschwister ihrer Mutter lebten bedeutend länger als ihre Schwester, hatten selbst erfolglos nach ihr gesucht. Es stellt sich die Frage: Hätte das Leben ihrer Mutter anders geendet, hätte sie vom Verbleib ihrer Familie gewusst? Spannend für Natascha Wodin ist es auch zu erfahren, dass ihre beiden großen Leidenschaften offenbar in der Familie lagen – die zur Literatur und die zur Oper. Gegen Ende ihrer Recherche findet sie auch lebende Verwandte. Diese haben zwar ihre Mutter nicht mehr gekannt, zu einem Cousin verbindet sie seither aber eine familiäre Beziehung.
Phasenweise fragt sich Natascha Wodin im Buch dennoch, warum sie sich das alles antut. Mitunter ist die Suche frustrierend und die Funde demotivieren sie. Am Ende scheint es sich dennoch gelohnt zu haben.
Literatur-, Geschichts- und Ahnenforschungsfans können sich in jedem Fall freuen, dass .sie die Möglichkeit haben, Natascha Wodins Suche nach ihrer Mutter nachverfolgen zu können. Für mich völlig zu Recht hat sie dafür den Preis der Leipziger Buchmesse bekommen. Das Buch macht auf spannende Weise aufmerksam auf historische Themen, die zwar nicht unbekannt sind, im Bewusstsein der Öffentlichkeit aber häufig ein Schattendasein führen. So zum Beispiel die Geschichte der Zwangsarbeiter aus dem Osten. Dabei liest sich das Buch streckenweise wie ein Krimi, man will es gar nicht aus der Hand legen, weil man wissen möchte, wie es weitergeht, ob die Leerstellen noch gefüllt werden können. Viel erfährt man, aber nicht alles. Wie es eben so ist mit der Ahnenforschung.
Wir verlosen ein Exemplar von „Sie kam aus Mariupol“
Dank des Rowohlt-Verlages haben wir die Möglichkeit ein Exemplar dieses schönen Buches zu verlosen. Es beschreibt sehr deutlich das Auf und Ab, das mit Ahnenforschung häufig einhergeht. Mehrfach an scheinbar toten Punkten angelangt, gibt es doch immer wieder unerwartete Erfolge. Wir möchten daher gerne etwas über den wichtigsten Durchbruch in Ihrer Ahnenforschung erfahren!
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Wir sind sehr gespannt auf Ihre Erfahrungen!
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